Mittwoch, 29. Februar 2012

2. Fastensonntag - Graduale: Tribulationes

Dominica II In Quadragesima


Kurze Einführung in die Thematik des 2. Fastensonntags
Flehend schauen wir nach den Erbarmungen Gottes aus (introitus). Wir scharen uns um den Altar, auf dem wir in der Feier der hl. Messe den verklärten Herrn vor uns haben (der Altar = der Berg Tabor – Evangelium). Wir sind bereit, die Wege der Sünde zu verlassen (Epistel) und den Weg der gebote zu wandeln (Offertorium). In der hl. Kommunion wird unsere Seele selbst ein Tabor und erhält Anrecht auf die ewige Verklärung.
(Quelle: Schott)


Graduale (Ps. 24, 17-18)
Die Ängste meines Herzens haben sich gemehrt;
aus meinen Nöten rette mich, o Herr.
Vers:
Sieh an mein Elend und mein Leid;
vergib mir all meine Sünden.
(Quelle: Schott)



Das Graduale knüpft unmittelbar an das in der Epistel behandelte Thema an. Der Sünder bitte, fleht um den rechten Weg und um die Hilfe Gottes. Schon im darauffolgenden Gesang, dem Tractus, geht diese Bitte dann über in das Lob Gottes, dessen Hilfe der Gläubige gewiss ist und führt so nahtlos zur Verklärung des Herrn im Evangelium. Eine großartige, fein abgestimmte, thematische Komposition.

Der Gesang beginnt quasi mit einer Art Bestandsaufnahme.
Entsprechend nüchtern wird dieser Beginn intoniert. Die Melodie bewegt sich in ebenso nüchtern zwischen Grund- und Tenorton.
Ein flehentlicher Tonfall stellt sich ein mit der ersten Bitte “de necessitatibus meis eripe me” (aus meinen Nöten rette mich). Die Binnenschlüsse enden unbestimmt auf der 3. Stufe (rot eingekreist). Wie das Wissen um die Dinge zu Anfang der Bitte gewichen ist, so wandeln sich die authentischen Schlussformeln in offenstehende unbestimmte Wendungen.

Erst der um Hilfe angeflehte Herr (Domine) führt wieder zu einem melodischen Ende auf dem Grundton und wird bis dahin mit reichen Melismen besungen. Die Dreiklangsthematik ist sehr charakteristisch und taucht an spätere Stelle im Vers wieder auf.

Der Vers zeigt ein ähnliches musikalisches Grundmuster. Die ersten beiden größeren Abschnittte – Sieh an mein Elend und mein Leid enden auf der 3. Stufe, während der weitere Text – vergib mir all meine Sünden – im Vertrauen auf das Erbarmen Gottes authentisch auf dem Tenorton, bzw auf dem Grundton enden.
Das “Vide me humilitatem meam” knüpft musikalisch zunächst die Brücke zum Beginn. Es wirkt auf mich wie eine melodisch verlängerte Form des ersten Wortes “Tribulationes”


Das “et laborem meum” übersetztman möglicherweise besser mit “und meine Mühen”. Betrachtet man die mehrmals wiederkehrende große absteigenden Dreiklangsmelodik, die der Komponist hier verwendet, komme ich zum Schluss, dass hier auch das tätige Be-mühen des Beters verdeutlicht werden soll. In der Tat verlangt diese Passage auch sängerisch einiges an Kraft. Es ist keine leichte dahinschwebende Melodik, sondern ein die Worte ausmalende.

Der melodisch Höhepunkt wird zwar bei “et dimmite” (und vergib mir) erreicht, das eigentliche Merkmal ab hier ist jedoch die melodische Enge als sollte hier die Dringlichkeit der Bitte angemahnt werden (siehe rote Querstriche). Das anschließende “omnia peccata” (alle Sünden) bewegt sich weiter in diesem engen Quintbereich um den Tenorton herum auch wenn die Schola wieder einsetzt bei “mea” (meine). Denn darum geht es schließlich. Der Beter bittet in all seinem Leid und seiner Mühe Gott persönlich um Vergebung seiner Sünden.


Der enge Tonbereich wird hier weitergeführt, eine Enge um die Dringlichkeit der Bitte zu betonen. Die Melodik knüpft hier sehr eng an die tatsächliche Körpersprache und den Tonfall eines ehrlich bittenden Menschen an. Jeder der schon einmal ein Kind seinen Vater, seine Mutter um etwas bitten gehört hat, kann dies leicht nachvollziehen. Es sind diese einfachen kleinen Stilmittel, die die wahre Meisterschaft dieser so eng an den Sinn der Worte angelehnten Komposition erkennen lassen. Erst die Schlussformel führt den Gesang wieder zu seinem Grundton zurück.

Deswegen behaupte ich auch, dass wer den Sinn der Psalmverse begreift, begreifen will, mit seiner Seele auch diesen Choral erfassen wird. Ein Zuhören das gleichzeitig ein Mitbeten ist. Man muss kein Musikprofessor sein um das zu verstehen. Wahre, echte, dienende Kunst, wie sie der Choral verkörpert, ist in seinem Wesen immer einfach zu verstehen. Man muss sich nur öffnen und es zulassen.

Nachtrag zu diesem wunderbaren Choral, der auch große Komponisten wie Rheinberger zu  wunderbaren Chorwerken inspirierte.

Just my 2 cents...

Freitag, 17. Februar 2012

Sonntag Sexagesima - Live Aufnahmen Schola St. Michael

Dominica in Sexagesima


Aus dem Gregorianischen Choralhochamt im überlieferten Ritus zum
Sonntag Sexagesima am 12. Feb 2012, 17:00 h, Pfarrei St. Michael Nieder-Ramstadt.

Introitus: Exsurge 
Bemerkung: Das erste Wort "Exsurge" fehlt in der Aufnahme. Die Aufnahme wurde leider 3 Sekunden zu spät eingeschaltet.

Neuaufnahme solo 2016. 

Graduale-Tractus-Evangelium in einer Aufnahme am Stück.
Bemerkung: Ich wollte mal ein zusammenhängendes Stück des liturgisch-musikalischen Reichtums des überlieferten Ritus abbilden mit gesungenem Graduale, Tractus und dem von Hochwürden Jolie gesungenen Evangelium.
Natürlich erfordert das auch bei den Sängern der Schola eine hohe Konzentrationsfähigkeit. Natürlich gibt es live hie und da mal kleine Unsicherheiten, die man z.B im Tractus im ersten und zweiten Vers hören kann.
Perfektion in der Ausführung ist eben nicht immer möglich.
Was man aber vielleicht mitnehmen kann sind die bis ins Detail aufeinander abgestimmten Texte, die von der Lesung ( 2 Cor 11, 19-33; 12, 1-9) über das Graduale und den Tractus zum Evangelium hinführen, das selbst in feierlichem Sprechgesang vorgetragen wird.

Graduale Sciant gentes: Neuaufnahme solo 2016

Nur um mal der Mär entgegenzutreten, der oft abfällig "alte Messe" genannte Ritus sei eine trockene Angelegenheit.

Eine Zusammenstellung der weiteren, fein verwobenen Texte finden Sie HIER.

just my 2 cents...

Donnerstag, 9. Februar 2012

Sonntag Sexagesima - Tractus: Commovisti

Dominica in Sexagesima


Tractus (Ps. 59, 4 u. 6)
Du machtest beben, o Herr, das Land und hast es erschüttert.
Vers 1: Heile seine Risse, es stürzt ja zusammen.
Vers 2: Gib ein Entrinnen vor des Bogen Pfeilen,
schenk Rettung deinen Auserwählten.
Zum Anhören diesem zwei Videos: Einmal HIER von St Rene Goupil. (Die Überschrift Septuaginta ist falsch, aber ansonsten passts).

Von den Benediktinerinnen von Barroux gibt es eine sehr gute CD auf der der Tractus enthalten ist und  hier kann man sie kaufen.



Siehe auch "Downloads", bzw HIER



Aus verstaubten Archiven ist Folgendes zu entnehmen:

Wer den Tractus eingeführt habe, ist unbekannt. Wilhelm Durand (ca. 1230-1296) nennt den Papst Telephorus (127-139); Rupert von Deutz (ca. 1070-1135) den Papst Gelasius I. (492-496). Gewiss ist, dass er in dem auf uns gekommenen gregorianischen Antiphonarium vorgemerkt ist. Anlass zu seiner Einführung gab vielleicht der Wunsch, die Messen, in welchen kein Alleluja gesungen wurde, mit einem Trauergesange auszuschmücken.
(aus Wenzeslaus Maslon, Lehrbuch des gregorianischen Kirchengesangs, Breslau, 1839)
Vielleicht sollte ich an der Stelle auch mal Google lobend erwähnen mit ihrer eingescannten Bibliothek. Den guten Wenzeslaus Maslon kannte ich nämlich bis dato nicht.

Lange Rede, kurzer Sinn - Nix Genaues weiss man zwar nicht, aber Tractus-Gesänge sind höchstwahrscheinlich die ältesten überlieferten Choralgesänge. Sie haben ausserdem die Besonderheit, dass sie entweder im 2. oder im 8. Ton stehen.
Warum das so ist, weiss ich leider nicht.

Der Beginn dieses überaus schönen Chorals ist versinnbildlicht in eng geschwungenen Auf und Abwärtsbewegungen das Beben, das der Herr ausgelöst hat. Hier ist vom kompositorischen Stilmittel her meiner Meinung nach eine Verwandschaft zu erkennen mit dem Schluss des vorhergehenden Graduale.
Es lässt sich ein dreigestaltiger Aufbau erkennen, mit dem "Beben" des Commovisti zu Beginn, dem melodisch etwas ruhigeren - ich nenns mal - Auge des Sturms bei "Domine terram", das weniger ausschweifende Melismen hat, und dem aufgewühlten "conturbasti eam" (du hast sie - die Erde - erschüttert). Untereinandergestellt, wird dieser Aufbau deutlicher.

Es folgt der erste Psalmvers und mit ihm die Bitte auf Erlösung: Heile seine Risse - Sana contritiones ejus!
Aucg hier ist wieder ein dreiteiliger Aufbau zu entdecken, ähnlich der Eröffnung.
Sana - contritiones ejus - quia mota est
Heile - seine Risse - es stürzt ja zusammen.
Der erste und dritte Teil mit jeweils langen Melismen, der zweite Teil mit einem fast syllabischen "contritiones" und dem kurzen Melisma aus "ejus".

Sana (Heile), diese Bitte wird um ihrer Dringlichkeit willen melodisch wiederholt. Was das Wort alleine so nicht ausdrücken kann wird musikalisch hörbar vorgetragen. Die Melodie erhebt sich in die Höhe, wie die Augen eines Beters im Hilferuf zu Gott um anschließend die Zerissenheit der Erde im Auf und Ab des Melismas darzustellen. Besonders deutlich (und nebenbei schwierig zu singen) macht sich das Ende des ersten Verses bemerkbar auf "est". Diese Stelle ist geprägt durch ständig wiederkehrende doppelte Quartsprünge, die sich durch das ganze Melisma hinziehen.

Im 2. Vers wird die Bitte persönlicher. Nun wird um rettung für die Auserwählten gefleht unter Zuhilfenahme eines kriegerischen Bildes mit der Errettung vor feindlichen Pfeilen.
Der Tractus (von lat. trahere=ziehen) zieht sich noch mehr in die Länge, die Melismen werden ausgedehnter.
Bei "fugiant" (gib Entrinnen) wird ähnlich wie im Wort "Sana" im ersten Vers die musikalisch Verdopplung der ersten Melodiefloskel gewählt. Die erste Bitte wird wieder doppelt hörbar gemacht.

Gegen Ende bei electi tui werden die Intervalle kleiner, die Melodie entfernt sich von der Spriúnghaftigkeit des ersten Verses. Bei "electi" (Erwählten) scheint diese im Choral noch einmal kurz durch um dann in schönen gleitenden Sekundschritten beim Schlusswort "tui" (Deinen) ein harmonisches Ende zu finden.
Ein Ende in der Gewissheit getragen, dass die Bitten erhört werden wie es schon im Introitusvers angedeutet wird, wo es heisst: O Gott, mit eigenen Ohren hörten wir es, unsre Väter erzählten davon.


Wer sich dem Faszinosum dieser uralten liturgischen Musik nähern möchte, die seit den Anfängen der Christenheit existiert, der sollte ruhig mal seinen Geist öffnen und in einer Hl. Messe diese gesungene Liturgie miterleben, die Vielschichtigkeit, bzw  - wie Hochwürden H. Jolie es einmal in einer Predigt ausdrückte - die polyphone Struktur mehrerer im Messopfer aufeinander zulaufenden Gebete und Riten auf sich wirken lassen. Die Hektik des Alltags bleibt aussen vor, während einige Minuten lang zwischen Epistel und Evangelium das Graduale und in der überlieferten Liturgie ab Septuagesima auch der Tractus, der langgezogene Choralgesang ertönt. 
Der Mensch hat nur einen Mund, aber zwei Ohren. Vielleicht ist es besser zwischendurch mal weniger zu reden und mehr zuzuhören. Auch das kann man unter einer aktiven Teilnahme, einer participatio actuosa verstehen, das laute Reden sein zu lassen, zu schweigen und Gottes Wort hörend in sich aufzunehmen.

Sie könnten z.B. am Ende des Artikels damit beginnen indem sie sich die Zeit nehmen den Tractus, von den Nonnen aus Barroux gesungen, noch einmal anhören.

just my 2 cents... 







Dienstag, 7. Februar 2012

Sonntag Sexagesima - Introitus: Exsurge

Dominica in Sexagesima


An Sexagesima ist Paulus, der goße Völkerapostel Führer und Vorbild (Stationskirche: St. Paul). Wir leben im Geiste seine Bedrängnisse, Leiden und Opfer (Epistel) mit und freuen uns, dass er mit Gottes Kraft glücklich überwunden und gesiegt hat: die Gnade hat ihn erhalten, errettet und erhöht. In der Kraft der Gnade, die uns so reichlich im hl. Opfer zuströmt, hoffen und vertrauen auch wir, alle Hindernisse des Heiles siegreich zu überwinden (Introitus, Graduale, Tractus).
(Auszug aus der Einleitung zu Sexagesima im Schott)

Introitus (Ps. 43, 23-26)
Wach auf, was schläfst Du, Herr?
Wach auf, verstoß uns nicht auf ewig!
Was wendest du Dein Antlitz ab, vergissest unsrer Not?
Es klebt am Boden unser Leib.
Wach auf, o Herr, hilf uns, erlöse uns.
Vers (Ps. ebd. 2):
O Gott, mit eigenen Ohren hörten wir es,
unsre Väter erzählten davon.



Siehe auch "Downloads", bzw HIER




Der Beter wendet sich im Psalm in höchster Bedrängnis an Gott. Dreimal ertönt der flehentliche Ruf: Exsurge - Wach auf! Der Introitus weist hier eindeutig auf die Epistel hin, (2 Cor 11, 19-33; 12, 1-9) in der der Apostel Paulus von seinen Entbehrungen berichtet, nicht um sich derer zu rühmen, sondern um sich gegenüber falschen Lehrern zu verteidigen.
Der Introitus spannt hier den thematischen Bogen der Hl. Messe auf, an deren Höhepunkt Christus als "das Brot des Lebens gereicht wird, in dessen Kraft wir jugendfrisch hundertfältige Frucht bringen können" (Zitat: aus der Einführung im Schott)

Der Introitus beginnt musikalisch mit einer Art Spiegelung der Melodiebögen während der ersten beiden Exsurge-Rufe.
Wach auf, was schläfst Du, Herr?

Wach auf, verstoß uns nicht auf ewig!

Es folgt die melodische Erklärung der Wach-auf-Rufe: Was wendest du Dein Antlitz ab, vergissest unsrer Not?. Wobei vor allem das oblivisceris (vergissest) ragt dabei melodisch heraus, andeutend was wäre, wenn es tatsächlich so käme. Die Stelle endet unbestimmt auf der 3. Stufe, leicht erhöht so wie es auch bei einer gesprochenen Frage der Fall ist.
Die Erkenntnis des Beters über sein irdischen Dasein führt der Gesang wieder zum Grundton zurück (Es klebt am Boden unser Leib). 
Hier schliesst sich nun das dritte Exsurge an, der Kulminationspunkt dieses Chorals, das die Schola mit langen gebundenen Tönen hervorhebt vor der abschliessenden demütigen Bitte im Wissen um die Erlösung.
Dieses Exsurge zeichnet sich aus durch den gleichen engen Tonumfang und einem Binnenschluss auf der 3. Stufe wie bei der vorherigen Frage "vergissest du unsere Not (tribulationem nostram)". Dich während sich das "tribulationem nostram" durch zwei und dreitönige Neumen noch unbestimmt melodisch hin- und herwälzt besticht das Exsurge durch seine syllabische Eindeutigkeit, mit zwei wiederum spiegelbildlich wirkenden Ausnahmen wird jeder Silbe ein Ton zugeordnet. Die musikalische Wendung hört sich dadurch nicht mehr unbestimmt fragend an, sondern zeigt Autorität im Wissen um Erlösung.
Dieses Wissen geht bis zu dieser Stelle nicht aus dem Text hervor, doch die Erklärung erfolgt direkt im Anschluss durch den Psalmvers:
O Gott, mit eigenen Ohren hörten wir es, unsre Väter erzählten davon.

Sängerisch ist dieser Introitus leicht zu bewältigen, die Melodie ist sehr einfach gehalten entsprechend dem Text, denn Hilferufe sind schließlich auch keine komplizierten Botschaften.

just my 2 cents...